Wie Longevity die Zukunft des Alters prägt
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GESCHÄFTSBERICHT 2024
GESUNDHEIT & QUALITÄT

Länger leben:

Wie Longevity
die Zukunft
des Alters prägt


Die Lebenserwartung steigt stetig. Doch wie können wir das Älterwerden so gestalten, dass die Lebensqualität erhalten bleibt? Die Longevity-Forschung widmet sich genau dieser Frage: Sie untersucht, wie das Leben nicht nur verlängert, sondern auch gesünder gestaltet werden kann. Doch wie realistisch sind diese Entwicklungen? Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich daraus? Prof. Dr. Sabina Misoch, Verwaltungsratsmitglied der Tertianum Gruppe und renommierte Altersforscherin an der Berner Fachhochschule, gibt spannende Einblicke in das Potenzial und die Grenzen der Longevity-Forschung.
WAS BEDEUTET LONGEVITY, UND WARUM IST DAS THEMA SO RELEVANT?

Longevity bedeutet Langlebigkeit und ist derzeit ein viel diskutiertes Thema. Menschen haben seit jeher das Bestreben, ihr Leben zu verlängern und gleichzeitig gesund zu bleiben. Die Longevity-Forschung untersucht daher Faktoren, die die Lebensdauer beeinflussen. Sie befasst sich sowohl mit der Verlängerung des Lebens als auch mit dem sogenannten «Healthy Aging» – also der Möglichkeit, lange gesund zu bleiben. Dabei sind für die Forschung insbesondere Personen von Interesse, die bereits heute ein hohes Alter in guter gesundheitlicher Verfassung erreicht haben. Ihre Lebensweise und genetischen Besonderheiten können wertvolle Hinweise darauf geben, welche Faktoren Langlebigkeit begünstigen.

 

WELCHE WISSENSCHAFTLICHEN FORT- SCHRITTE KÖNNEN HELFEN, DAS LEBEN ZU VERLÄNGERN UND GLEICHZEITIG DIE LEBENSQUALITÄT ZU VERBESSERN?

Das Altern des Menschen ist nach wie vor nicht voll- ständig erforscht. Es gibt mehr als 200 Alternstheorien, von denen einige bereits wissenschaftlich belegt sind, während andere noch untersucht werden. Um die Lebensdauer gezielt zu verlängern, müssen wir verstehen, wie der Alterungsprozess funktioniert. Dabei spielen genetische Faktoren eine Rolle, doch sie beeinflussen die Langlebigkeit nur zu etwa 20 Prozent. Die restlichen 80 Prozent werden durch Umweltfaktoren bestimmt – dazu zählen Krankheiten, aber auch Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung und andere psychosoziale Einflüsse. Diese sogenannten LifestyleFaktoren bieten enormes Potenzial für eine gesunde Lebensverlängerung.

 
WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT EINE STEIGENDE LEBENSERWARTUNG AUF GESELLSCHAFT UND WIRTSCHAFT?

Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in der Schweiz derzeit bei 85 Jahren für Frauen und 81 Jahren für Männer. Vor 150 Jahren lag sie noch bei rund 40 Jahren – ein enormer Anstieg, vor allem durch Fortschritte in der Gesundheitsversorgung. Manche Forschende gehen davon aus, dass Menschen zukünftig 120 Jahre alt werden könnten. Doch eine längere Lebenszeit bringt auch Herausforderungen mit sich: Die Finanzierung von Rentensystemen, die Anpassung des Arbeitsmarkts und die langfristige Gesundheitsversorgung müssen neu gedacht werden. Die Longevity-Medizin ist zudem ein wachsender Markt, in dem Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Interessen verfolgen. Es stellt sich daher die Frage: Wie können wir eine Balance zwischen verlängertem Leben und einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwick- lung finden?

 

BESCHÄFTIGT SICH DIE LONGEVITY-FORSCHUNG AUCH MIT WIRTSCHAFTLICHEN UND GESELLSCHAFTLICHEN FOLGEN?

Der Fokus der Longevity-Forschung liegt primär auf der Erforschung der Faktoren, die die Lebensdauer beeinflussen. Ökonomische und soziale Fragen werden weniger intensiv behandelt. Doch genau hier liegt eine zentrale Herausforderung: Wie finanzieren wir eine alternde Gesellschaft, wenn Menschen immer länger leben? Wie organisieren wir Pflege und Betreuung? Und welche Folgen hat es, wenn Menschen nicht nur älter werden, sondern auch länger berufstätig bleiben müssen? Es wäre sinnvoll und denkbar, diese Themen zukünftig stärker in die Forschung einzubeziehen.

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Prof. Dr. Sabina Misoch

Sabina Misoch ist eine internationale Expertin der Altersforschung und Professorin an der Berner Fachhochschule im Institut Alter. Nach ihrer Promotion in Soziologie war sie an den Universitäten Potsdam, Dresden und Luzern tätig, bevor sie als Juniorprofessorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft in Mannheim lehrte. Von 2014 bis 2024 leitete sie das von ihr gegründete Institut für Altersforschung an der Ostschweizer Fachhochschule OST. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Langlebigkeit und Robotik im Alter. Seit April 2023 ist sie im Verwaltungsrat der Tertianum Gruppe.

 

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Prof. Dr. Sabina Misoch

«Unsere Gesellschaft muss sich auf eine Zukunft einstellen, in der Menschen länger leben – und das bedeutet nicht nur Chancen, sondern auch grosse Herausforderungen.»

GIBT ES ETHISCHE GRENZEN IN DER LONGEVITY-FORSCHUNG?

Die nachweislich älteste Person, Jeanne Calment, wurde 122 Jahre alt. Die biologische Grenze scheint aktuell bei etwa 120 Jahren zu liegen. Doch was bedeutet es, wenn der Mensch immer länger lebt? Ich glaube nicht, dass der Mensch wirklich mehr vom Leben hat, wenn er 150 Jahre alt wird. Die Endlichkeit des Lebens gibt den Dingen erst einen besonderen wert. Unendliches Leben hingegen würde die Bedeutung von Erfahrungen und Lebensphasen grundlegend verändern. Die Begrenzung des Lebens ist vielleicht gerade deshalb wertvoll, weil wir die Dinge nicht unendlich oft tun können. Viele Studierende, mit denen ich darüber diskutiert habe, waren ebenfalls skeptisch: wenn man unendlich Zeit hätte, verlören Entscheidungen und Erlebnisse an Bedeutung. Zudem würden ökologische und wirtschaftliche Probleme entstehen, die weitreichende Folgen für unsere Gesellschaft hätten.

 

KANN LONGEVITY-FORSCHUNG DAZU BEITRAGEN, DIE HERAUSFORDERUNGEN EINER ALTERNDEN GESELLSCHAFT ZU BEWÄLTIGEN?

Ja, indem sie hilft, Prävention in den Mittelpunkt zu stellen. In unserer Gesellschaft konzentrieren wir uns stark auf kurative Medizin – also auf die Behandlung von Krankheiten, wenn sie bereits eingetreten sind. Die Longevity-Forschung kann jedoch dazu beitragen, gesundheitsfördernde Massnahmen früher zu implementieren: etwa eine bewusste Ernährung, regelmässige Bewegung, den richtigen Umgang mit Stress und soziale Interaktion. Dies sind keine neuen Erkenntnisse, aber durch die wissenschaftliche Bestätigung dieser Faktoren können wir gezieltere Massnahmen ergreifen, um ein gesundes Altern zu fördern. Letztendlich geht es meines Erachtens weniger darum, einfach nur länger zu leben, sondern vor allem darum, mit hoher Lebensqualität und möglichst viel Lebensfreude zu altern.